Samstag, 16. Juli 2011

„Auf die neuen Schuhe!“

Wodka – dieser Begriff ist in allen Weltsprachen so bekannt und allgemeingültig. Wodka (Водка) ist im Russischen eine Koseform von Wasser "wada" (вода) und bedeutet übersetzt "Wässerchen". Und genau so wird er auch oft von den Russen getrunken. In Russland kann man es auch kaum erleben, dass offene Wodkaflaschen unausgetrunken in den Schrank zurück gestellt werden. Die einheimischen Wodkaflaschen waren zur Sowjetzeit traditionell nicht einmal wieder verschließbar.

Russen trinken auch wirklich viel und gerne. Sie geben sogar 8,8% ihres Einkommens für Wodka aus. Im Durchschnitt trinkt jeder Russe jährlich neun Liter legalen Wodka. Suchtverbände sprechen von mehr als dem Doppelten.

Dass Russen und Russlanddeutsche trinkfest sind, kommt noch dazu, vor allem wenn es um die stark alkoholischen Getränke geht. Das liegt allerdings nicht an den Genen oder daran, dass sie aus Russland kommen, sondern einfach, dass sie sich, im Vergleich zu vielen Deutschen, an die Grundregeln für den Wodka-Genuss halten. Man sagt oft, dass der Schnaps heimtückisch sei, dabei sollte man ihn einfach nur richtig trinken. Es ist von größter Wichtigkeit dazu immer eine wohlschmeckende Begleitung zu haben – Sakuska (russ.: закуска). Ohne nahrhaften und salzigen Imbiss kann der Schnaps nämlich nicht seine besten Eigenschaften entfalten. Also sollte man sofort nach dem Schlucken eine Sakuska zu sich nehmen und diese Prozedur in dessen Verlauf wiederholen.

Man trinkt außerdem nie weniger als 50 g und nicht still in sich hinein, sondern in der Runde und im Takt der Trinksprüche. „Trinken ohne Anlass gilt nämlich laut der russischen Philosophie als Trunksucht“. Deshalb wird immer in die Runde gefragt „Auf was trinken wir?“ "sa schto pjom?" (За что пьём?) wenn man sein Glas erhebt. Die Russen kennen äußerst viele Trinksprüche "Tost" (Тост), wie z. B.: "Wodka ist Gift, Gift ist Tod, Tod ist Schlaf, Schlaf ist Gesundheit." oder "Wir wünschen allen Frauen, dass sie nur von schönen und exotischen Tieren umgeben sind. Dass sie einen Jaguar in der Garage haben, einen Tiger im Bett, einen Zobel um die Schultern und einen Esel, der das alles bezahlen kann."  In einem Trinkspruch wird oft zusammengefasst, auf was man trinkt. Das kann ein Wunsch für Glück oder Gesundheit sein, dem oft ein Witz vorausgeht und wenn einem kein Tost einfällt, der sagt einfach: "Auf die Gesundheit!" (russ.: На здоровье! = Na sdarowje!). Doch einen Anlass zum Trinken findet sich eigentlich immer: Es werden inzwischen sogar Feiertage aus anderen Ländern übernommen, um darauf anzustoßen. Und gibt es keinen speziellen Feiertag, dann kann auch als Trinkgrund ein endlich erhaltener Lohn dienen, der Kauf eines neuen Autos oder auch nur der Erwerb neuer Schuhe. Wenn man auf neue Sachen trinkt, werden sie immer gute Dienste erweisen, heißt es.

Dass die russische Kultur untrennbar mit dem Alkohol, ganz besonders dem Wodka verbunden ist, merkt man recht schnell. Es wird sogar behauptet, der Kiewer Fürst Wladimir habe im Jahre 988 wegen des Wodkas das Christentum und nicht etwa den Islam als Landesreligion angenommen.
Doch seit wann gibt es den Wodka eigentlich? Die Herstellung des Wodkas als Kornbrand wurde erstmals im Mittelalter dokumentiert, als der Branntwein durch Wein in Klöster hergestellt wurde, sozusagen der Vorläufer des Wodkas. Italienische Kaufleute brachten den Branntwein schließlich im 16. Jahrhundert nach Russland, wo man das Verfahren der Destillation auch erlernte. Damals war ein reiches Vorkommen an Roggen im Land vorhanden und anstatt den Wein zu Branntwein zu verarbeiten, kam ein Russe auf die Idee, den Roggen dafür zu verwenden – der erste richtige Wodka war erfunden. Wer allerdings der besagte Russe war und somit der Erfinder, ist bis heute ungeklärt. Die Polen behaupten sogar, dass einer ihrer Landsmänner das Getränk erfunden habe.
Die erste staatliche Wodkaproduktion begann Mitte des 16. Jahrhunderts, durch Iwan der Schrecklichen. Für ihn galt der Wodka als zeremonielles Getränk und russische Waffe mit der man Gesandte bei Verträgen milde und nachgiebig stimmen konnte.

Bis zum 18. Jahrhundert durfte der Wodka schließlich nur in Tavernen hergestellt werden. Jedoch konnte sich diese Verordnung nicht allzu lange halten, die Gründe dafür waren eine hohe Last an Schulden bei den Wirten und auch die Qualität vom Wodka war stark gesunken. Deshalb wurde die Produktion auf einen Beschluss des Zaren Peter der Große freigegeben und eine Steuer darauf erhoben. Nachdem Katharina II. an die Macht kam, wurde die Herstellung des Wodkas erneut reformiert. Es wurde ein Privileg für die Herstellung von staatlichen Brennereien und Adel eingeführt. Daraufhin verbesserte sich die Qualität und die Chancen des Profits stiegen an.
Die privilegierten Hersteller konnten in dieser Zeit einen russischen Artikel in das Ausland exportieren. Der Wodka zog in ferne Länder und die Herstellung des Wodkas ging in ein Staatsmonopol über.

Die Wodkaherstellung wurde mit der Zeit aber weiterhin in der Rezeptur und der Fertigungstechnik verbessert und sogar die besten Wissenschaftler Russlands beteiligten sich an der Verfeinerung, unter anderem der Chemiker Dmitri Iwanowitsch Mendelejew. Er bestimmte die Stärke des Wodkas bzw. den Prozentsatz und hat bewiesen, dass man bei einem Alkoholanteil von 40-45% den Geschmack erst richtig fühlen kann.

Es entstanden im Laufe der Zeit immer mehr Schwarzbrennereien in Russland. Die Regierung versuchte zwar immer wieder die illegalen Brennereien zu schließen und die Alkoholproduktion herunterzufahren, doch es war oft zwecklos, da sie unüberschaubar geworden waren. Man ließ den Alkohol außerdem immer wieder frei fließen, da die Produktion einen großen Teil der Staatseinnahmen ausmachte und dringend Geld zur Finanzierung des Staates gebraucht wurde.

1995 startete der Generalsekretär Gorbatschow einen neuen Versuch und drosselte wieder die Alkoholproduktion. Er sah, welchen Einfluss der Alkohol auf die Gesellschaft hatte, und wollte gegen den Missbrauch von Alkohol etwas unternehmen. Reihenweise wurden die kleinen Brennereien geschlossen, die nur gesundheitsschädlichen und minderwertigen Fusel herstellten.
Die Versuche, das Volk trockenzulegen, hatten allerdings die Folge, dass im Kaukasus und auf der Krim wertvolle Weinberge abgeholzt und ein nie dagewesenes Ausmaß annahm. Und es entstanden noch mehr Schwarzbrennereien, die einen Wodka herstellten, der nichts mehr mit der traditionellen Rezeptur, der Eigenschaften und dem Geschmack des reinen Wodkas gemeinsam hatte. Folge waren unzählige Tote mit Alkoholvergiftungen. Aus dieser Zeit stammen auch einige Geschichten von Leuten, die Industrie-Alkohol, billiges Parfüm oder Hydraulikflüssigkeit tranken, um ihre Sucht zu befriedigen und danach starben.
Die Wodkaherstellung konnte nie wirklich gestoppt werden und wird bereits seit langer Zeit auch von verschiedenen ausländischen Unternehmen produziert, unter anderem der USA, England und Deutschland. Es existieren etwa 120 Wodka-Fabriken und bereits 150 verschiedene Wodka-Marken:
Wodka Gorbatschow wird z. B. in Deutschland hergestellt und er ist nicht nach Michail Gorbatschow benannt, wie die Leute manchmal denken.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Wodka außerhalb Russlands und Polens kaum bekannt. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen zahlreiche Emigranten nach Berlin, wo sich bald eine russische Kolonie bildete. Die damals in Deutschland noch unbekannte Spirituose konnte man nirgends kaufen. Als Retter in der Not erwies sich eine Familie Gorbatschow. Sie verfügte über die notwendigen Kenntnisse zur Wodka-Herstellung und beschloss, in Berlin Wodka zu produzieren. 1921 wurde die Firma Gorbatschow gegründet. Andere Wodkas wie „Smirnoff“ (made in New York), Rasputin, „Boris Jeltzin“ tragen zwar russische Namen, sind aber nicht russischer Herkunft!

Wie ist es denn bei euch mit dem Trinken? Steht bei euch immer eine Flasche Wodka auf dem Tisch, wenn ihr Gäste habt oder verzichtet ihr auch mal auf Alkohol?

Montag, 11. Juli 2011

Verflixt! Verdammter Tannenstock!

Blini sind berühmte russische Teigspeisen aus Hefe- oder Buchweizen, die den Eierkuchen sehr ähneln. Es ist immer noch nicht festgestellt worden, aus welchem Land genau dieses Gericht stammt. Die Forscher nicken mal in Richtung China, mal in Richtung Ägypten. Aber, obwohl  der Eierkuchen in der einen oder anderen Form in vielen Ländern bekannt ist, werden wohl die Blini aus Hefeteig den Slawen zugeschrieben. Dort hatten sie in der vorchristlichen Zeit eine gewisse rituelle Bedeutung, da sie aufgrund ihrer runden Form ein Symbol der Sonne waren.
Ähnliche Teigspeisen sind in ganz Ost- und Südosteuropa verbreitet, werden aber nur gelegentlich auch aus Buchweizenmehl hergestellt. Polnische Pfannkuchen heißen Naleśniki, wenn sie ohne Hefe zubereitet werden, und Racuchy, wenn es sich um Hefepfannkuchen handelt. In Tschechien nennt man sie Palačinky, in Ungarn Palacsinta (Palatschinken). Durch die russischen (vor allem jüdischen) Immigranten sind Buchweizenpfannkuchen auch in den USA bekannt geworden.

Seit dem Mittelalter werden sie in Russland am Ende des Winters zur Masleniza (Butterwoche) gebacken, um symbolisch die Wiedergeburt der Sonne zu feiern, vor Beginn der Fastenzeit. Sie wurden in dieser Woche früher auch von Straßenverkäufern angeboten. Diese Tradition wurde von der russisch-orthodoxen Kirche übernommen und wird bis heute gepflegt. Weitere Anlässe für Blini-Mahlzeiten waren die rituellen Gedenktage für die Toten, die drei Mal im Jahr stattfanden. Auch bei Beerdigungen wurden Blini als Speise für die Gäste zubereitet.
Allerdings sind sie so beliebt, dass man sie nicht nur zu Festen backt, sondern auch an ganz gewöhnlichen Tagen serviert.
Es gibt auch Blini, die eingerollt werden und mit den unterschiedlichsten Füllungen (Quark, Konfitüre,Honig, Hackfleisch, Kaviar, Pilze) und Aufstrichen gegessen werden, diese werden jedoch Blintschiki (Блинчики) genannt. Und auch im Westen wird häufig der Ausdruck Blini fälschlich für kleine, dickere Eierkuchen angewendet, die auf russisch aber eigentlich оладьи (olad‘i) genannt werden.

Doch den Begriff Blin kenne ich eigentlich aus meiner Kindheit, dabei ging es jedoch weniger ums Essen. Ich hörte es meinen Vater gebrauchen, wenn bei ihm etwas schief lief oder wenn ihm jemand die Vorfahrt klaute. Ich vermutete ein ganz schlimmes Wort dahinter, weil mein Vater auf russisch statt auf deutsch fluchte. Dabei hieß es nichts weiter als übersetzt Plinsen bzw. Eierkuchen. Na gut, wenn man ehrlich ist, war blin außerdem ein Hüllwort für einen allgemeinen Verdammungsfluch („Mist!“), um das vulgäre блядь (bljad‘) „Prostituierte“ zu vermeiden, vergleichbar mit dem deutschen Scheibenkleister. Aber gesagt wurde ja trotzdem nur die ganze Zeit löchriger Pfannkuchen (russ.: блин дырявый / blin drjawiy) oder Tannenstock (russ.: Ёлки-палки! / jollki palki). Was beides im Deutschen einfach als „Verflixt“ oder „Verdammt“ übersetzt werden würde. Diese Wörter sind also harmlos und sogar Kindern erlaubt.

Bei den Russen und den Schimpfwörtern muss man aber immer sehr vorsichtig sein, denn die einfachsten Dinge können schon eine Beleidigung für sie bedeuten.
Sollte man als Ausländer ein Wort nicht als Beleidigung meinen, sondern einfach als „Fluchwort“, es aber in der falschen Situation und mit falscher Intonation aussprechen, dann muss man mit echten Problemen rechnen und kann sehr schnell in eine böse Schlägerei verwickelt werden. Denn Russen sind sehr stolz und lassen sich nur sehr wenig gefallen.

Wart ihr einmal in einer Situation, in der euch die Russen oder Deutschen falsch verstanden haben? Welche Erfahrungen habt ihr mit russischen und deutschen Schimpfwörtern gemacht?