Montag, 16. Mai 2011

Familiärer Zusammenhalt durch Tee


Die Russen sind wahre Teefreunde und da meine Familie und ich in der ehemaligen Sowjetunion lebten, gehören wir natürlich auch  zu den Teeliebhabern – bis heute. Jeden Tag wird bei uns das heiße Gebräu getrunken: morgens, mittags, abends und auch zwischendurch. Es ist eigentlich DAS Getränk schlechthin!

Während bei deutschen Familien immer ein kaltes Getränk zum Mittagessen serviert wird, wartet man bei uns bis nach dem Essen auf eine Erfrischung. Mit Erfrischung meine ich aber auch hier, den Tee, denn vor allem der Grüne wirkt Wunder gegen heiße Sommertage und belebt besser als jedes Mineralwasser oder Bier. Die Russen trinken das gesundheitsfördernde Getränk sogar vor, während und nach einem Saunabesuch.

Der schwarze und grüne Tee stammt zwar offiziell aus China und wurde in Russland erst eingeführt als es von dem Bojaren Wassili Starkow als Geschenk für den Zaren Michail Fjodorowitsch mitgebracht wurde. Doch schon lange davor wurde in Russland, wie anderenorts auch, Tee aus den Früchten des Waldes und den Kräutern der Wiesen gekocht und als Getränk wie als Heilmittel verwendet. Wie überall, wo Teesträucher nicht bekannt waren und nicht wachsen, war der „feine“ Tee, vor allem während des Krieges unerschwinglich. Also blieb man beim Hausgemachten. Meine Mutter pflückt auch heute noch aus unserem Garten Pfefferminzblüten und macht daraus einen äußerst aromatischen Tee, der mir persönlich um einiges besser schmeckt als ein Gekaufter.

Zum schwarzen Tee wird bei uns zu Hause auch immer noch die Milch gereicht. Als Freunde bei mir zu Besuch waren und ihnen wie selbstverständlich dazu Milch angeboten wurde, haben sie uns nur skeptisch angesehen und dankend abgelehnt. Nach einer gewissen Zeit wurde es aber nicht untypisch in Deutschland und daraufhin reagierten Freunde, wenn man ihnen zum Tee Milch anbot, nicht mehr verwundert, sondern entgegneten: „Ah, ihr trinkt den Tee wie die Engländer“ Ich wollte nie erwidern, dass der schwarze Tee in Russland eigentlich schon immer so getrunken wurde und die Russen es nicht von den Engländern abgeschaut haben, sondern eher umgekehrt. Ich wollte aber die netten teetrinkenden Engländer nicht beleidigen. Außerdem haben sie die Zubereitung auf ihre Weise zur Meisterschaft entwickelt, daher kann man diese nicht mit denen der Russen vergleichen. Oft geben die Russen z. B. sogar zum grünen Tee Milch hinzu, so dass der Tee noch ein zusätzliches Aroma bekommt. Vor allem wenn er nach zu langem Ziehen eine bittere Note erhält, schmeckt er mit etwas Milch milder und somit angenehm.

Bei den Russen ist es auch üblich, dass zum Tee noch etwas Süßes serviert wird, meist ist es mit einem Kuchen aber nicht getan – nein es müssen dann auch noch zahlreiche Süßigkeiten dazukommen, die sich im ganzen Haus verstecken und selbstgemachte Marmelade zum Versüßen darf natürlich auch nicht fehlen. Dann wird genascht und der harte Keks in den Tee getunkt bis dieser schließlich in der Hitze aufweicht und in der Teetasse versinkt. Die Russen trinken ihren Tee nämlich gerne sehr sehr heiß.
Auch meinem Opa konnte er nie heiß genug sein. Ständig beschwerte er sich darüber, dass er schon abgekühlt sei, während wir Kinder denselben Tee, wie die Kasachen aus der Schale tranken, um uns nicht daran zu verbrennen.

Doch je älter ich werde, desto stärker wächst auch bei mir das Bedürfnis nach einem heißen Tee. Ich genieß es, wenn die Hitze aufsteigt und sich dadurch der Geruch des Tees intensiver entfalten kann. Dann beginne ich genüsslich daran zu nippen und ein Wohlsein wird in mir ausgelöst, weil ich weiß, dass die Teezeremonie erst begonnen hat und man sich für ein Weilchen zurücklehnen und die Gemütlichkeit und das Beisammensein genießen kann.

Ein besonderer Brauch ist nämlich das gemeinsame Teetrinken nach den Mahlzeiten, bei dem ein ruhiges Gespräch über all das aufgenommen wird, was beim Essen nicht ausreichend behandelt werden konnte.
In Russland und kurz nachdem wir nach Deutschland kamen habe ich oft erlebt, dass bei dieser Gelegenheit der Tee im Selbstkocher "Samowar" (самовар) zubereitet wurde. Dieser hat einen Ehrenplatz in jeder russischen Familie und ist dort nicht wegzudenken. Es wird auch als ein Schmuckstück im Haushalt empfunden, der immer zum Abschluss eines Gastmahls hervorgeholt wird.

Schon in früheren Jahren war der Samowar nicht wegzudenken und sorgte für kochendes Wasser ohne dass der große Ofen angeheizt werden musste. Doch den Samowar gibt es erst seit 1730. 1778 kam es schließlich zur Gründung der ersten Samowarfabrik in Tula. Die Stadt der reichen Erzvorkommen und der hochwertigen Metallverarbeitungen erlangte als Zentrum der russischen Samowarherstellung Berühmtheit. 1862 gab es dort acht, 1886 bereits 70 Samowarfabriken, die zum Teil sehr kunstvolle Geräte produzierten. Als Materialien verwendete man Kupfer, Messing und Weißblech, seltener Silber. Die üblichen Samoware bestanden aus sogenannten polnischen Silber, einer Schmelze aus Nickel mit Eisen sowie Kupfer und waren innen verzinnt. Oft zierten sie Sinnsprüche wie:“Trinkst du Tee, dann lebst du hundert Jahre!“ Den traditionellen Samowar beheizt man mit Holzkohle oder Tannenzapfen, die sich auf einem Rost im Heizrohr innerhalb des Gefäßes befinden. Nachdem das Wasser zum kochen gebracht wird, nimmt man das Rohr ab und der Samowar kann auf den Tisch gestellt werden.
Ein Samowar, der auf diese Weise funktioniert, wird Sbitennik genannt, nach dem beliebten Honiggetränk Sbiten, das sehr häufig darin aufgewärmt wurde.
Moderne Samoware funktionieren mittlerweile ähnlich wie die heutigen Wasserkocher und erhitzen das Wasser mit einer elektrischen Spirale, die jedoch dessen Geschmack und Qualität etwas beeinträchtigt. Was aber gelieben ist, ist immer noch eine kleine Teekanne, die man auf den Samowar stellen kann, worin ein kräftiger Teesud zieht. So kann sich jeder den Tee in der gewünschten Stärke mischen.

Wie trinkt ihr euren Tee – eher deutsch oder russisch?

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